Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen
Veröffentlicht in der Tageszeitung "Darmstäder Echo" am 17.03.2007
Bundesarbeitsgericht: Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen nur nach rechtzeitiger Antragstellung!
In der Arbeitswelt gilt, dass schwerbehinderte Menschen sowie diesen gleichgestellte Menschen besonderen Kündigungsschutz genießen. Zwar ist auch solchen Arbeitnehmern gegenüber eine Kündigung möglich, allerdings für den Arbeitgeber unter erschwerten Bedingungen. Nach der gesetzlichen Vorschrift des § 85 SGB IX (früher Schwerbehindertengesetz) ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Arbeitnehmers unwirksam, wenn sie ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes erfolgt ist. Das gleiche gilt auch bei Behinderten, die unterhalb eines Grades der Behinderung von 50 bleiben, aber mindestens einen Grad der Behinderung von 30 aufweisen und durch die Arbeitsagentur einem Schwerbehinderten gleichgestellt sind.
Bis zu einer im Mai 2004 erfolgten Gesetzesänderung war es für das Eingreifen des besonderen Kündigungsschutzes ausreichend, dass die Anerkennung der Schwerbehinderung bzw. die Gleichstellung vor dem Zugang der Kündigung vom Arbeitnehmer beantragt war. Eine spätere Feststellung hatte dann rückwirkenden Charakter auf den Zeitpunkt der Antragstellung. In der Praxis bedeutete dies, dass selbst ein ganz kurzfristig vor Erhalt der Kündigung gestellter Antrag des Arbeitnehmers den Sonderkündigungsschutz auslösen konnte, was für Arbeitgeber regelmäßig mit einem erheblichen Prozessrisiko bei einem Kündigungsschutzverfahren einherging.
Zwar war auch nach der gesetzlichen Neuregelung grundsätzlich anerkannt, dass ein Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung - sofern er denn vor der Kündigung gestellt und später positiv beschieden wird - den Sonderkündigungsschutz auslösen kann, allerdings war bis vor zwei Wochen höchst streitig, ob eine so genannte „Mindestabstandsfrist“ von drei Wochen - so jedenfalls nach einer Leseart der gesetzlichen Vorschrift des § 90 Abs. 2 a SGB IX - (in Fällen, in denen ein ärztliches Gutachten erforderlich ist, sogar sieben Wochen) zwischen der Antragstellung des Arbeitnehmers und dem Kündigungszugang bestehen muss.
Diesen Streit hat das Bundesarbeitgericht nunmehr am 1. März 2007 entschieden und festgestellt, dass die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes nur für Kündigungen gegenüber solchen Arbeitnehmern erforderlich ist, die bei Zugang der Kündigung bereits als Schwerbehinderte anerkannt sind oder den Antrag auf Anerkennung mindestens drei Wochen vor dem Zugang der Kündigung gestellt haben (§ 90 Abs. 2 a SGB IX). Gleiches gilt nach diesem Urteil auch für Arbeitnehmer, die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Auch sie sind vom Sonderkündigungsschutz ausgeschlossen, wenn sie den Gleichstellungsantrag nicht mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt haben (BAG, Urteil vom 1. März 2007, Az.: 2 AZR 217/06).
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte eine Arbeitnehmerin, bei der eine Schwerbehinderung mit einem GdB von 40 vorlag, am 3. Dezember 2004 eine Gleichstellung beantragt. Am 6. Dezember 2004 kündigte der Arbeitgeber das seit 1995 bestandene Arbeitsverhältnis und zwar ohne zuvor die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt zu haben. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung war über die Gleichstellung der Arbeitnehmerin natürlich noch nicht entschieden. In dem von der Arbeitnehmerin gegen die Kündigung eingeleiteten Kündigungsschutzverfahren machte die Klägerin geltend, dass die Kündigung unwirksam sei, da sie bereits zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung – wenn auch rückwirkend – gleichgestellt gewesen sei und somit den Sonderkündigungsschutz eines schwerbehinderten Menschen in Anspruch nehmen könne. Tatsächlich war im April 2005 rückwirkend zum 3. Dezember 2004 eine Gleichstellung erfolgt. Dennoch blieb die Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin in allen Instanzen erfolglos. Das Bundesarbeitgericht verwies in seiner Entscheidung darauf, dass der Klägerin trotz der erfolgten Gleichstellung kein Sonderkündigungsschutz zugestanden habe, da sie den Gleichstellungsantrag nicht mindestens drei Wochen, sondern nur drei Tage vor der Kündigung gestellt habe.
Für Arbeitnehmer bedeutet die Entscheidung des Bundesarbeitgerichts, dass die Beantragung einer Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung künftig zeitnah vorgenommen werden sollte, wobei nicht selten eine Abwägung des Vor- und Nachteils einer solchen Vorgehensweise entsprechend der jeweiligen Situation getroffen werden muss. Für Arbeitgeber ist das Urteil hingegen ganz klar begrüßenswert, da es frühzeitig einen wesentlichen Unsicherheitsfaktor bei der Frage nach der Wirksamkeit einer Kündigung beseitigt.
Nicole Brauer
Fachanwältin für Arbeitsrecht
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