Mittelbare Diskriminierung durch Staffelung des Gehaltes nach Dienstjahren?

Veröffentlicht in der Tageszeitung "Darmstäder Echo" am 14.04.2007

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz:
Mittelbare Diskriminierung durch Staffelung des Gehaltes nach Dienstjahren?

Im August 2006 ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft getreten, welches hauptsächlich im Arbeitsleben Anwendung findet und Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters sowie der sexuellen Identität verhindern soll (§ 1 AGG). Da es für die Beachtung des Gesetzes keine Übergangsfristen gibt, müssen Arbeitgeber kurzfristig dafür sorgen, dass ihre betrieblichen Abläufe mit dem AGG vereinbar sind. Andernfalls drohen Schadensersatzklagen und es besteht die Gefahr, dass arbeitsrechtliche Vereinbarungen und Maßnahmen des Arbeitgebers sich als unwirksam herausstellen können. Derzeit besteht noch erhebliche Rechtsunsicherheit, wie sich das Gesetz in der Praxis auswirken wird. Viele Fragen werden erst im Laufe der Zeit von der Rechtsprechung beantwortet werden. Fest steht aber bereits jetzt, dass es für Arbeitgeber umso wichtiger ist, alle bedeutsamen Personalmaßnahmen künftig gründlich zu dokumentieren sowie die im Unternehmen bestehenden individual- und kollektivrechtlichen Regelungen zu überprüfen.

Bei den aus Arbeitgebersicht gefährlichen „Benachteiligungen“ unterscheidet das Gesetz zwischen unmittelbaren und mittelbaren Benachteiligungen. Würde der Arbeitgeber zum Beispiel nur der männlichen Belegschaft eine Urlaubsgratifikation gewähren, läge eine unmittelbare Benachteiligung der weiblichen Mitarbeiter wegen des Geschlechts vor. Dies hätte zur Folge, dass die benachteiligten Arbeitnehmerinnen auf dem Klageweg erfolgreich einen entsprechenden Zahlungsanspruch erlangen könnten. Mittelbare Benachteiligungen hingegen sind nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Sie liegen vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften oder Kriterien, Personen wegen eines Diskriminierungsmerkmals - also z.B. wegen des Alters oder des Geschlechts - im Vergleich zu anderen Personen benachteiligen. Eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts kann dann gegeben sein, wenn z.B. die Gewährung einer Sonderzahlung voraussetzt, dass der Arbeitnehmer auf Vollzeitbasis beschäftigt ist, hingegen Teilzeitbeschäftigte von der Zahlung ausgenommen werden. Da in vielen Branchen faktisch mehr Frauen als Männer in Teilzeitarbeitsverhältnissen stehen, wird in einer derartigen Unterscheidung regelmäßig eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechtes zu sehen sein. Kann der Arbeitgeber in einem solchen Fall nicht plausibel erklären, dass er mit der unterschiedlichen Behandlung ein rechtmäßiges Ziel mit angemessenen Mitteln verfolgt, so ist der Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung vollständig erfüllt.

Mit dem Argument einer mittelbaren Diskriminierung hat sich eine Engländerin vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die in ihrer Firma eingeführte Gehaltsstaffelung nach Dienstjahren gewandt. Die Klägerin war auf der gleichen Position wie vier ihrer männlichen Kollegen beschäftigt, bezog jedoch mit Abstand das niedrigste Gehalt. Im Vergleich mit dem Kollegen, der das höchste Gehalt bekam, musste sie sich mit rund 13.000,00 €/Jahr weniger abfinden. Der Arbeitgeber begründete die unterschiedliche Bezahlung mit dem höheren Dienstalter der männlichen Kollegen. Die Klägerin wollte sich hiermit allerdings nicht zufrieden geben, sondern vielmehr die Angleichung ihres Gehaltes an das der vier männlichen Kollegen erreichen. Ihre Argumentation stützte sie hierbei darauf, dass die im Betrieb beschäftigten Frauen im Durchschnitt ein geringeres Dienstalter aufwiesen als Männer, was unter anderem durch die Kindererziehungszeiten bedingt sei, die nun einmal hauptsächlich von Frauen übernommen werden. Nach Ansicht der Klägerin traf die Gehaltsstaffelung nach Dienstjahren ausschließlich Frauen nachteilig, was faktisch eine mittelbare Geschlechtsdiskriminierung bedeuten würde.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) teilte diese Ansicht jedoch nicht und entschied in diesem Fall, dass das Kriterium der Dienstjahre ein zulässiges Mittel sei, um die Berufserfahrung zu honorieren. Das Dienstalter ginge nämlich mit der Berufserfahrung einher und diese befähige den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin seine bzw. ihre Arbeit besser verrichten zu können. Der EuGH verwies darauf, dass die Honorierung der Berufserfahrung ein legitimes Ziel der Entgeltpolitik sei, die dazu führen könne, dass im Einzelfall Arbeitnehmerinnen faktisch benachteiligt werden.

Auch unter Berücksichtigung der Regelungen des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes wird man zu dem Ergebnis kommen müssen, dass eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts in diesen Fällen zulässig sein kann. Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass in Bezug auf seinen konkreten Arbeitsplatz mit der Staffelung nach Dienstjahren nicht die Honorierung der Berufserfahrung erreicht werden kann, so muss er nach der Rechtsprechung des EuGH dem Gericht Anhaltspunkte liefern, die zu ernstlichen Zweifeln daran führen. Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn nicht die Dienstjahre für die Sammlung der Berufserfahrung entscheidend sind, sondern die Ausbildung oder vorherige Tätigkeiten in anderen Bereichen oder Firmen. Oder wenn es sich um einfach gelagerte Tätigkeiten handelt, bei denen die Berufserfahrung keinen nennenswerten Vorteil bei der Verrichtung der Tätigkeit liefert. Vergütungsbestimmungen, die nicht auf das Dienst-, sondern auf das Lebensalter abstellen, dürften sich seit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz bis auf wenige Ausnahmefälle aber nicht mehr rechtfertigen lassen und daher unwirksam sein.

 


Nicole Brauer
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Kasinostraße 5, 64293 Darmstadt
Tel. 06151/30 766-0

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