Maultaschen, Pfandbons & Co: Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei Bagatelldelikten?

Veröffentlicht in: Darmstädter Echo am 26. November 2009

Maultaschen, Pfandbons & Co: Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei Bagatelldelikten?

Derzeit vergeht kaum eine Woche, in der in den Medien nicht über so genannte Bagatellkündigungen berichtet wird. Ob Pfandbon-Unterschlagung, Maultaschen-Mitnahme oder Frikadellenklau. Langjährige Mitarbeiter werden nach Medienberichten wegen scheinbar unbedeutender Dinge entlassen – oftmals sogar fristlos.

So auch der Fall einer 50-jährigen Berliner Supermarkt-Kassiererin, die unter ihrem Spitznamen „Emmely“ bekannt geworden ist, und der wegen eines unterschlagenen Pfandbons im Wert von 1,30 EUR durch die Kaufhauskette Kaisers fristlos gekündigt wurde. Der Fall hat bundesweit große Aufmerksamkeit erregt, da sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die Kündigung des Arbeitgebers als wirksam angesehen haben. Das von Emmely eingeleitete Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht ist derzeit noch nicht entschieden, wird aber mit Spannung erwartet, da nicht auszuschließen ist, dass das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung zu Bagatellkündigungen ändert. Ein Unterstützungskomitee für Emmely fordert zwischenzeitlich sogar mit einer Petition vom Bundestag ein Gesetz, das Kündigungen bei Bagatelldelikten ausschließt.

Für ähnlichen Aufruhr sorgte der sog. „Maultaschen-Fall“, bei dem eine Altenpflegerin fristlos gekündigt wurde, nachdem sie entgegen der ausdrücklichen Anweisung des Arbeitgebers sechs Maultaschen im Wert von drei Euro mitgenommen hatte.

Die Vergehen, die durch die Medien geistern, sehen auf den ersten Blick aus wie Lappalien, so dass es nicht verwundert, dass in der Bevölkerung voller Empörung mit Blick auf ganz andere Fehlverhalten im Wirtschaftsleben die Frage nach der Verhältnismäßigkeit derartiger Kündigungen gestellt wird. Nichts desto trotz ist die derzeitige Rechtslage eindeutig: Auch als Arbeitnehmer muss man zwischen „Mein“ und „Dein“ unterscheiden. Selbst ein vermeintlicher Bagatell-Diebstahl ist strafrechtlich betrachtet eine Straftat. Weswegen es auch aus arbeitsrechtlicher Sicht bislang keine Bagatellgrenze gibt, unterhalb derer eine arbeitsrechtliche Sanktion quasi verboten wäre. Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Eigentums- oder Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitgebers grundsätzlich geeignet sind, eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung zu rechtfertigen. Und dabei macht es keinen Unterschied, ob der Arbeitnehmer z.B. einen Billig-Kugelschreiber für 50 Cent oder aber einen vergoldeten Füllfederhalter für 500 Euro aus dem Büro mitgehen lässt. Aus Sicht des Arbeitgebers kommt es auf den Wert überhaupt nicht an, sondern vielmehr auf das gestörte Vertrauensverhältnis.

Gegen die Regel „Wer klaut, fliegt!“ lässt sich nur der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen einer Interessenabwägung vorbringen und den Arbeitnehmer unter Umständen vor der fristlosen Entlassung bewahren. Steht im Rahmen eines Arbeitsgerichtsverfahrens fest, dass der Arbeitnehmer eine geringwertige Sache des Arbeitgebers gestohlen hat, so ist zunächst einmal davon auszugehen, dass ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung gegeben ist. Allerdings steht damit noch keineswegs fest, dass die fristlose Kündigung auch Bestand hat. Vielmehr prüfen die Arbeitsgerichte sodann in einer zweiten Stufe, ob es dem Arbeitgeber in dem konkreten Fall trotz Vorliegen des wichtigen Grundes nicht doch zumutbar ist, lediglich eine ordentliche Kündigung oder sogar nur eine Abmahnung auszusprechen. Im Rahmen dieser so genannten Interessenabwägung muss der Arbeitgeber sowohl die Art der Pflichtverletzung als auch die sozialen Verhältnisse des Arbeitnehmers berücksichtigen. Die Kündigung muss sich im Ergebnis als eine angemessene Reaktion des Arbeitgebers auf das Verhalten des Arbeitnehmers darstellen. Wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass es für die Interessenabwägung keine festen Regeln gibt, sondern diese stets vom jeweiligen Einzelfall und den hierbei zugrunde liegenden Gesamtumständen abhängig ist. Insbesondere kann auch nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit und/oder einem bestimmten Lebensalter eher zuzumuten wäre.

Allein die Tatsache, dass der Mitarbeiter schon mehr als 20 Jahren im Unternehmen arbeitet und bisher eine „weiße Weste“ hatte, führt nicht dazu, dass er sich einmal ungestraft am Eigentum des Arbeitgebers vergehen darf. Die Rechnung, ein Diebstahl im Wert von 1,00 Euro in 30 Jahren ist kein Problem, geht nicht auf!

 


Nicole Brauer
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Kasinostraße 5, 64293 Darmstadt
Tel. 06151/30 766-0

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