Der Tag danach - Weiterbeschäftigung. Anspruch des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist?
Veröffentlicht in der Tageszeitung "Darmstäder Echo" am 20.08.2005
Erhält der Arbeitnehmer eine Kündigung, so hat er grundsätzlich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist einen vertraglichen Beschäftigungsanspruch, auf den er je nach Sachlage aus prozesstaktischen Erwägungen nicht leichtfertig verzichten sollte (vgl. Beitrag vom 13. August 2005).
In der Praxis stellt sich immer wieder die Frage, wie es für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist aussieht. Muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch über den Ablauf der Kündigungsfrist beschäftigen, wenn dieser sich mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung wehrt? In rechtlicher Hinsicht gibt es zwei Antworten auf diese Frage: Existiert ein Betriebsrat, so hat dieser im Rahmen seines Mitbestimmungsrechts nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz die Möglichkeit, einer Kündigung aus den gesetzlich geregelten Gründen zu widersprechen. Macht er von dieser Möglichkeit Gebrauch, so folgt allein hieraus schon ein Anspruch des gekündigten Arbeitnehmers über den Tag der Kündigungsfrist im Betrieb verbleiben zu dürfen. Dieser sog. betriebsverfassungsrechtliche Weiterbeschäftigungsanspruch gilt zunächst unabhängig von der Wirksamkeit einer Kündigung und wird erst dann beseitigt, wenn über die Kündigung rechtskräftig entschieden ist. Dies kann bei der Durchführung eines Berufungsverfahrens erfahrungsgemäß ein bis zwei Jahre dauern, bei einem Revisionsverfahren sogar noch länger. Der Betriebsrat kann folglich dem Arbeitnehmer einen ganz erheblichen Prozessvorteil verschaffen. Voraussetzung ist jedoch, dass der Betriebsrat seinen Widerspruch sorgfältig und nicht lediglich pauschal begründet hat.
Existiert kein Betriebsrat, so ist der Arbeitnehmer zwar etwas schlechter gestellt, aber nicht völlig hilflos. Unter bestimmten Voraussetzungen erkennen die Arbeitsgerichte bei schwebenden Kündigungsschutzverfahren einen sog. allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch an. Ist die vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung offensichtlich unwirksam (z.B. bei Kündigung eines Schwerbehinderten ohne Zustimmung des Integrationsamtes), so besteht der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers auch über den Ablauf der Kündigungsfrist fort. Bei Kündigungen, die nicht offensichtlich unwirksam sind, ist hingegen zu unterscheiden: Bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung über die Kündigung besteht zunächst kein Weiterbeschäftigungsanspruch, da von den Arbeitsgerichten gewissermaßen unterstellt wird, dass die ausgesprochene Kündigung rechtswirksam ist und der Arbeitgeber ein schützenswertes Interesse daran hat, den Arbeitnehmer nicht weiterbeschäftigen zu müssen. Dieses Ergebnis wird dann aber umgekehrt, wenn aus einem erstinstanzlichen Urteil die Unwirksamkeit der Kündigung hervorgeht. In diesem Fall überwiegt das Interesse des Arbeitnehmers an seiner tatsächlichen Beschäftigung. Hat der Arbeitnehmer in der ersten Instanz gewonnen, so muss ihn der Arbeitgeber auf der Grundlage des für ihn günstigen Urteils bis zur rechtskräftigen Entscheidung weiterbeschäftigen.
Nicole Brauer
Fachanwältin für Arbeitsrecht
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