Arbeitsrecht: Ein Buch mit sieben Siegeln oder doch alles easy going?

Veröffentlicht in der Tageszeitung "Darmstäder Echo" am 21.10.2006

Arbeitsrecht: Ein Buch mit sieben Siegeln oder doch alles „easy going“? - Einzelfallbezogene Rechtsprechung verbietet Verallgemeinerungen 

Jeder, der sich einmal näher mit arbeitsrechtlichen Themen befassen muss, wird schnell merken, dass das heutige Arbeitsrecht ein sehr umfangreiches und für den Laien unübersichtliches Rechtsgebiet ist. Dies hat nicht zuletzt seinen Ursprung in einer Vielzahl sog. „unbestimmter Rechtsbegriffe“, die erst durch gerichtliche Entscheidungen eine Konkretisierung erfahren, sozusagen zum Leben erweckt werden. Als Beispiel kann etwa § 1 Abs. 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz genannt werden, in dem die wesentlichen Voraussetzungen für die Begründung einer Kündigung durch den Arbeitgeber normiert sind. Dort heißt es, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende  betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.  

Allein anhand dieser gesetzlichen Vorschrift wäre jedoch die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Kündigung in einem konkreten Fall nicht zu beantworten. Die gesetzliche Regelung selbst bietet keinen Hinweis darauf, welche Tatsachen vorliegen müssen, damit im Streitfall das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangen kann, dass einer der oben genannten Gründen zu bejahen oder zu verneinen ist. 

„Erste Hilfe“ bietet hierbei die Rechtsprechung der Gerichte, die zur Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe beiträgt. Aus ihr ist beispielsweise ersichtlich, dass die Beleidigung des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer ein in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegender Kündigungsgrund sein kann. Einen Katalog, in dem man nur unter einem Stichwort nachschlagen muss, um zu erfahren, ob man einen unliebsamen Arbeitnehmer loswerden oder als Arbeitnehmer sozusagen die Grenzen seines Verhaltens einmal ausloten kann, gibt es indes nicht. Auch wenn dieser Eindruck oftmals beispielsweise in sog. Personal Newslettern für Arbeitgeber oder Veröffentlichungen in Internetforen erweckt wird, sollte man keine übereilten Schlussfolgerungen ziehen. So wird z.B. in der aktuellen Ausgabe eines Arbeitgeber-Newsletters die Frage: „Rechtfertigen 25 % Umsatzrückgang eine betriebsbedingte Kündigung – Darf ich Personal abbauen?“ mit einem erfrischenden und fettgedruckten „Ja, Sie dürfen!“ beantwortet und auf die Entscheidung eines Landesarbeitsgerichts verwiesen. Arbeitgeber, aber auch Arbeitnehmer, sollten sich jedoch davor hüten, solchen Aussagen ohne weiteres zu folgen. Denn in kaum einem anderen Rechtsgebiet kommt es mehr auf den Einzelfall und damit im übertragenen Sinn auf das „Kleingedruckte“ an, als im Arbeitsrecht. So weckt „ein Umsatzrückgang oder eine defizitäre Ertragslage“ häufig zwar bei Arbeitsrichtern Verständnis für den Arbeitgeber, dies führt aber noch lange nicht zu einem gewonnenen Prozess. Bezogen auf das Argument des Umsatzrückganges kann der Arbeitgeber mit einem obsiegenden Urteil erst rechnen, wenn es ihm gelingt, dem Richter genau vorzurechnen, dass jeder Euro weniger in der Kasse auch exakt mit weniger Arbeit verbunden ist und damit von dem oben erwähnten betrieblichen Bedürfnis zur Kündigung ausgegangen werden kann.  

Auch bei verhaltensbedingten Kündigungsgründen kommt es in der Praxis nicht selten vor, dass ein Kündigungsschutzverfahren bei leicht abgewandeltem Sachverhalt im Vergleich zu einem ähnlich gelagerten Fall einen gänzlich anderen Ausgang findet.  

Kann etwa z. B. in der Baubranche das Zitat des Götz von Berlichingen aufgrund des dort herrschenden raueren Umgangstons noch akzeptabel sein, so liegt es auf der Hand, dass die entsprechende Äußerung eines Bankangestellten den Streit um eine verhaltensbedingte Kündigung in eine andere Richtung lenken wird. Im Ergebnis kommt es auf den Einzelfall an und dieser ist vor den Arbeitsgerichten - jedenfalls für die Arbeitgeber - selten „easy going“.

 


Nicole Brauer
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Kasinostraße 5, 64293 Darmstadt
Tel. 06151/30 766-0

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