Krankheitsbedingte Kündigung: Ärztliches Attest rechtfertigt keinen Rausschmiss!

Veröffentlicht in der Tageszeitung "Darmstäder Echo" am 10.03.2007

Krankheitsbedingte Kündigung: Ärztliches Attest rechtfertigt keinen Rausschmiss!

Das Hessische Landesarbeitsgericht in Frankfurt hat im November 2006 entschieden, dass es Sache des Arbeitnehmers ist, einen ärztlichen Rat zu befolgen, wonach er gewisse belastende Arbeitstätigkeiten zur Vermeidung gesundheitlicher Beeinträchtigungen unterlassen soll. Zwar sei der Arbeitgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht am Ausspruch einer Kündigung gehindert, wenn ein Arbeitnehmer dauerhaft nicht mehr in der Lage sei, die geschuldete Leistung zu erbringen. Solange der Arbeitnehmer jedoch seine Arbeitsleistung erbringe, sei für diese Annahme mehr nötig als bloß die Vorlage einer ärztlichen Empfehlung sich anders zu verhalten (LAG Hessen vom 27. 11. 2006 = 18/16 Sa 340/06).

Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger war bei einem großen bundesweit tätigen Paketunternehmen beschäftigt, wobei es zu seinen Tätigkeiten gehörte, Pakete mit einem Gewicht von mehr als 5 – 10 kg zu bewegen. Im Verlauf des Arbeitsverhältnisses legte der Kläger seinem Arbeitgeber eine ärztliche Bescheinigung wegen einer Wirbelsäulenerkrankung vor, wonach im Ergebnis aus gesundheitlicher Sicht Bedenken gegen das Heben schwerer Gewichte in einer Größenordnung von mehr als 10-15 kg bestanden. In der Folgezeit beschwerte sich der Kläger wiederholt bei seinen Vorgesetzten, wenn er dennoch schwerere Pakete zu heben hatte. Häufig wurde der Kläger auch nach Hause geschickt, obwohl er es selbst nicht ablehnte, die übertragenen Arbeiten zu erledigen. Darüber hinaus war der Kläger wiederholt arbeitsunfähig, wobei jedoch kein Zusammenhang mit seinem Rückenleiden zu verzeichnen war. Schließlich kündigte der Arbeitgeber. Im Rahmen des vom Arbeitnehmer hieraufhin eingeleiteten Kündigungsschutzverfahrens führte der Arbeitgeber zur Begründung an, es sei dem Kläger dauerhaft unmöglich geworden, seine Arbeitsleistung zu erbringen, was sich aus dem vorgelegten Attest ergebe. Hinzu komme der Umstand, dass die Arbeitsmenge in Form der Anzahl von ihm zu bearbeitender Pakete unterdurchschnittlich gewesen sei, was die Annahme zulasse, dass eine dauerhafte Minderung der Leistungsfähigkeit eingetreten sei und folglich ebenfalls zur Kündigungsbegründung heranzogen werden könne. Der Arbeitgeber führte ferner an, dass es auch nicht möglich gewesen sei, den Kläger auf einen anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz umzusetzen.

Dieser Argumentation ist jedoch weder das Arbeitsgericht Frankfurt noch das LAG Hessen gefolgt. Im Ergebnis obsiegte der Arbeitnehmer in beiden Instanzen. Das LAG begründete seine Entscheidung damit, dass aus der Bescheinigung des Arztes für Orthopädie nicht folgte, dass der Kläger die bisherigen Arbeiten gar nicht mehr ausführen konnte. Der Arzt habe dem Kläger lediglich bescheinigt, dass entsprechende Arbeiten zeitlich begrenzt vermieden werden „sollten“. Auch eine arbeitsmedizinische Untersuchung kam im Wesentlichen zu keinem anderen Ergebnis. Die Wortwahl der ärztlichen Bescheinigung sowie einer weiteren in den Rechtsstreit einbezogenen arbeitsmedizinischen Stellungnahme ergab, dass der Kläger den darin enthaltenen ärztlichen Rat zwar befolgen sollte, er jedoch unverändert weiter arbeiten kann. Das Gericht wies daher darauf hin, dass aus der ärztlichen Empfehlung, die Arbeitsbedingungen zu ändern, weder auf eine Unmöglichkeit der Weiterarbeit zu den bisherigen Bedingungen noch darauf geschlossen werden könne, dass sich der Gesundheitszustand in absehbarer Zeit ganz erheblich oder wesentlich verschlechtern werde. Das Gericht machte in seiner Begründung deutlich, dass es auf Grund des nur empfehlenden Charakters der ärztlichen Bescheinigung und Stellungnahme im Verantwortungsbereich des Klägers liege, für die Erhaltung seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit Vorsorge zu treffen oder eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes in Kauf zu nehmen.

Das LAG wies darauf hin, dass eine entsprechende ärztliche Empfehlung zwar den Arbeitgeber verpflichten könne, eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers zu prüfen und ihn ggfs. auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz umzusetzen oder zu versetzen. Sofern dies allerdings nicht möglich sei, habe es damit nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sein Bewenden, wenn sich der Arbeitnehmer für die Arbeit auf dem belasteten Arbeitsplatz entscheide (vgl. Bundesarbeitsgericht vom 17. 02. 1998 = 9 AZR 130/97). Die Beschwerden des Arbeitnehmers über die Zuweisung von zu schwerer Arbeit konnten nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts dahinstehen, solange und weil der Arbeitnehmer die tatsächliche Durchführung dieser Arbeiten gerade nicht verweigert habe. Stark unterdurchschnittliche Arbeitsleistungen, die im Einzelfall zur Kündigungsbegründung auf Seiten eines Arbeitgebers zwar grundsätzlich herangezogen werden können, konnte das Landesarbeitsgericht den Behauptungen des Arbeitgebers in dem vorliegenden Fall nicht entnehmen.

Für Arbeitnehmer, die gesundheitlich angeschlagen sind, bedeutet die Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgericht, dass ein berechtigtes Verlangen nach „leichterer“ Arbeit nicht zwangsläufig mit der Angst um den Arbeitsplatz einhergehen muss, selbst wenn entsprechende ärztliche Atteste vorgelegt werden. Allerdings sollte Augenmerk auf die genaue Wortwahl des ärztlichen Attestes gelegt werden. Nichts anderes gilt auch für Arbeitgeber. Insbesondere sollten nicht vorschnell gewünschte Ergebnisse in entsprechende Atteste hinein interpretiert werden, sonst kann es zu einem bösen und kostspieligen Erwachen kommen.

 


Nicole Brauer
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Kasinostraße 5, 64293 Darmstadt
Tel. 06151/30 766-0

Zurück